Exkurs – Die innere Reise, oder wohin reise ich in mir selber?

 

 

Ein polnischer Journalist, dessen Namen ich einmal kannte und leider vergessen habe, schrieb über das Reisen folgendes :„Mit jeder Grenze die wir überschreiten, kommen wir uns selber ein Stück näher.“

Diese Überlegung, sowie zahlreiche eigene Erfahrungen und Gedanken haben mich dazu bewogen einen Exkurs über die Reise zu- und mit uns selber zu schreiben. Freilich stellt all jenes, worüber  ich schreibe nur eigene Gefühle und Wahrnehmungen dar und hat somit keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit. Wohl aber darf es zum Nachdenken anregen und/oder die eine oder andere Heiterkeit hervorrufen.

 

Ich möchte die Sache einmal von zu Hause aus betrachten. An diesem Ort, oder zumindest in dessen Nähe gehen wir einer Tätigkeit nach, die unsere Gegenwart und Zukunft materiell absichert. In welcher Form auch immer.

Die Maslowsche Bedürfnispyramide erklärt die Hintergründe dieses Systems sehr gut.

Als Grundbedürfnisse gelten die Dinge, die unsere Überleben und Wohlergehen kurzfristig sichern. Dazu gehören Essen, Trinken und Schlafen. Diese Dinge decken wir, ob bewusst oder unbewusst, ständig in Form einer gewohnten Routine ab.

Sind diese Grundbedürfnisse gewährleistet, klettern unsere Bedürfnisse eine oder mehrere Stufen höher. Es folgen soziale Kontakte, Ausbildungen und somit berufliche Entwicklungen.

In Mitteleuropa sind diese Voraussetzungen recht hoch angesiedelt, besonders im Vergleich zu Ländern der dritten Welt. Der grundsätzlich hohe Wohlstand durch Bildung und Sozialsysteme lässt die Möglichkeiten und somit auch unsere Wünsche sehr weit nach oben klettern.

Hervorgerufen dadurch, folgt oft das Verlangen das Erreichte und Gelebte in Form von Statussymbolen zu repräsentieren. Egomotive stehen im Vordergrund und verdrängen leicht so manches Grundbedürfnis wie Liebe und Geborgenheit.

Eine moderne Gesellschaft strebt Erfolg und Anerkennung an, hat aber oft einfach nicht mehr die Zeit, zwischen quantifizierbaren Erfolgen und Leistungen, folgendes Goethezitat in seiner Bedeutung zu erleben:“ Ich ging im Wald, so führ mich hin, nichts zu suchen war mein Sinn!“

Das ist mein Hintergrund und von da aus bin auf Reisen gegangen. Dies zur kurzen Einleitung.

 

Viele Dinge bewegen einen dazu sich auf eine Reise zu machen. Egal ob es weit fort geht oder ob man sich auf den Weg macht irgendein anderes Ziel zu erreichen  Es sind viele Dinge, die oft unterschiedlicher gar nicht sein können. Auch nur auf Einige davon einzugehen würde jeden Rahmen sprengen.

Mathematisch betrachtet ist eine Reise etwas einfacher zu erklären. Ein Körper bewegt sich zwischen zwei oder mehreren Punkten und verbringt Zeit damit die Distanzen, abhängig von der Komponente Geschwindigkeit, zurückzulegen. Mathematiker mögen mir bitte etwaige Fehler verzeihen, im Prinzip ist es aber das was passiert.

Tatsache ist jedoch, als Reisender hat man selten das Gefühl ein mathematisch zu berechnender Körper zu sein. 

Viel mehr geht die Schablone der geometrisch bestimmbaren Form schnell verloren und die Strasse führt an einen unerwarteten Ort. In die eigene Seele!

 

Der Aufbruch

 

Oft ist der erste Schritt der Schwerste. Um nicht wieder zu sehr die Mathematik, oder diesmal besser die Physik, zu bemühen und das Phänomen des ersten Schrittes zu erklären kann man sich einen Eisenbahnwagon vorstellen. Wenn er rollt, dann rollt er. Den Wagon ins Rollen zu bringen ist aber mit Kraft verbunden. Kraft, um die Masse über einen Anfangswiederstand zu beschleunigen. Das Selbe gilt natürlich für Neujahrsvorsätze und Trainingspläne zur Reduktion des Körpergewichts.

Jede Reise lebt von diesem ersten Schritt, und noch viel mehr von der endgültigen Entscheidung ihn zu tun.

 

Ein schönes Sprichwort sagt folgendes.

Achte auf deine Gedanken, sie werden zu Worten.

Achte auf deine Worte, sie werden zu Taten

Achte auf deine Taten, sie werden zu Gewohnheiten

Achte auf deine Gewohnheiten, sie werden zu deinem Schicksal

 

Ist die Entscheidung wirklich gefallen sich auf den Weg zu machen, ganz gleich auch wohin, dann ist der Stein im Rollen und die Richtung steht fest.

Das Prinzip ist sehr einfach, einzig die Sicherheit, mit der dieses Sprichwort wahr wird kann einen manchmal fast selber erschrecken.

 

 

Einmal bin ich, wie so oft, spät des Nachts mit meinem Fahrrad von der Arbeit heimgefahren.

Neben mir führte die Autobahn mit dem summenden Geräusch des Nachtverkehrs und über meinem Kopf strahlte hell der Mond in die Sommernacht. Das Konzert der Grillen tönte aus den Weidebüschen und die Luft roch angenehm nach feuchtem Grass.

Was war das für ein schöner Moment. Nun sitze ich gerade in Afrika, südlich des Equators und erlebe diese Nacht in Gedanken, als wäre sie gestern erst gewesen.           

Doch zurück zu meiner nächtlicher Fahrradfahrt, wo waren meine Gedanken damals? Wie oft habe ich mich in solcher Nächten dabei ertappt mir vorzustellen, wie es wohl in Afrika sein wird, oder wie unterschiedlich die nächtlichen Geräusche des Regenwaldes wohl sein könnten. Diese Gedanken haben ihren Weg gefunden und mich schließlich auf die Reise geschickt. Vielleicht einfach nur, weil ich sie nicht verdrängt habe.

 

Der römische Dichter Ovid schrieb einmal über die Kunst des Reisens, ähnlich wie auch über die Kunst der Liebe in seiner Ars Amatoria.

Er wies auf die Wichtigkeit des Moments hin und besonders auf die Notwendigkeit, sich von belastenden und ablenkenden Gedanken frei zu machen um so manch zarte Pflanze des Glücks nicht schon im Keim zu ersticken.

Diese Erkenntnis gewinnt gerade in unser schnellen und mobilen Zeit stark an Bedeutung.

 

Abseits der vertrauten Plätze, der Freunde, der Bekannten und der Familie öffnet sich vor dem Reisenden meist ein riesiger Raum. Dieser Raum ist gut vergleichbar mit neuem Land, das es                                                             zu entdecken gilt.

Oft verbrachte ich ganze Nächte damit, meine Reiseroute nach bestem Wissen und Gewissen zu planen und so viele Informationen wie nur möglich über die zu bereisenden Länder zu sammeln. Gute Vorbereitung ist wichtig, genauso wie gute Ausrüstung.

Die wichtigste Vorbereitung ist jedoch, und das musste ich mehr als nur einmal erfahren, die Furcht vor der Ungewissheit und dem großen Raum vor einem zu verlieren.

Das mag einfacher klingen, als es tatsächlich ist. Wer aufbricht ist aufgebrochen und alleine. Nichts ist wie es wahr und keine Gewohnheit und Routine hat ihre vertraute Gültigkeit.

Jeder neue Tag erfordert eine neue Anpassung an die jeweilige Situation, eine neue Selbstorganisation und natürlich Improvisation.

 

Kürzlich war ich in Richtung Point Noir unterwegs. Blitze zuckten über den Horizont und ein riesiges Gewitter bahnte sich seinen Weg über den Kongo. Der Regenwald verschlang die herabstürzenden Fluten unter seinem Blätterdach und die Piste lag vor mir wie ein endlos langer grüner Tunnel.

Die dunklen, mit Wasser gefüllten Spuren und Schlaglöcher verschwammen immer mehr mit meinen Gedanken und ein Gefühl der Besorgnis und Angst begann mich zu befallen.

Automatisch und sicher bewegte ich das Motorrad durch die Wasserlöcher, doch für mich waren sie bald riesige, schwarze Meere, die es zu durchfahren galt.

Im Wald wurde es immer dunkler und die Blitze zuckten wie Stroboskope, die so manchen Urwaldbaum wie einen gespenstischen Schatten erscheinen ließen.

Was war geschehen mit mir? Ich fuhr doch bloß durch ein Gewitter und hatte auf einmal das Gefühl am Ende der Welt und meiner Tage angekommen zu sein. Sicher, das Gewitter war heftig, doch warum war ich gerade so verstört?

Was war vor 3 Monaten in der Westsahara geschehen, als mich auf einer guten Asphaltstrasse plötzlich ein Gefühl der Furcht befiehl und den ganzen Tag nicht mehr von mir weichen wollte. Vor mir war nichts als Sand und Sonne und neben mir brandete sanft der Atlantik an die Küste. Trotzdem fühlte ich mich in Gefahr und bedroht, auch wenn ich keine reelle Ursache dafür finden konnte.

Ähnliches passierte mir auch vor vielen Jahren in Venedig, ich war am Abend spazieren und kam an einem Haus vorbei. Dieses Haus war bogenförmig über die Strasse gebaut und man konnte von unten in die Fenster des ersten Stockes sehen. Mehr zufällig als beabsichtigt wanderte mein Blick über die weißen Vorhänge. Im Licht der Straßenlaterne wirkten sie alt und ungepflegt. Plötzlich stellten sich auf meinem Körper sämtliche Haare auf und ein Gefühl des Grauens befiehl mich.

Ich durchwanderte den Torbogen darauf nicht und fand einen anderen Weg zurück ins Hotel.

Als ich am nächsten Morgen den Platz wieder aufsuchte, war alles normal. Ein schönes Haus, mit schönen Vorhängen, das war alles was ich sah.

 

Es hat sehr lange gedauert, bis ich mir auf diese unliebsamen Wahrnehmungen und Ängste einen Reim manchen konnte.

Es sind die ureigenen Ängste und die unverarbeiteten Dinge, die manchmal plötzlich vor einem stehen.

In vertrauten Situationen, wie wir sie daheim erleben, sind diese teilweise unterbewussten Empfindungen viel zu schwach um wahrgenommen zu werden.

Im riesigen und unbekannten Raum, den so eine Reise mit sich bringt, können sie mitunter sehr kräftig hervortreten.

Wer an diesen Punkt kommt ist dann beim Dialog mit sich selber angelangt, tief in der eigenen Seele.

Als ich die Ängste zum ersten Mal zuließ, ohne zu versuchen sie zu verdrängen waren sie plötzlich weg. Einfach so, und meine Stimmung war wieder ausgezeichnet.

Ted Simon, ein britischer Journalist, der in den frühen 70er Jahren alleine mit seinem Motorrad aufbrach um den Globus zu umfahren, berichtete in seinem Buch von ähnlichen Empfindungen.

Er hatte jedes Mal, wenn er durch ein Unwetter fuhr das Gefühl gegen etwas in ihm selber anzukämpfen. Ähnlich wie Cervantes Don Quichotte, der in den Windmühlen Ungeheuer sah.

Diese Wahrnehmungen passieren auf Reisen, und sie stellen die Reise zu uns selber dar.